Für einen
kurzen Abstecher gings weiter nach Jodhpur. In der „blauen Stadt“, die so
genannt wird weil hier viele der blau gestrichenen Brahmanenhäuser stehen, habe
ich es dann zum ersten Mal gewagt meinen Saree zu tragen. „The Saree makes every
woman look like a godess“, hat mal ein Inder zu mir gesagt und ich finde auch,
dass es auf der ganzen Welt kein schöneres Kleidungsstück für Frauen gibt. Ich
war etwas besorgt, dass die Inder es vielleicht nicht schätzen würden, wenn
eine Nichtinderin sich in die sechs Meter traditionellen Stoff hüllt, aber meine
Befürchtungen waren völlig unbegründet. Die Inder haben es nahezu gefeiert eine
Weiße mit indischer Tracht zu sehen. An jeder Ecke lächelten die Leute und
riefen mir begeistert „Very nice Saree!“ oder „Indian Culture!“ zu.
Wenn wir mit
Bus oder Bahn unterwegs sind oder mit dem Moped in kleine Dörfer fahren, bildet
sich nicht selten eine große Menschenmasse um uns. Alle zeigen großes Interesse
an der westlichen Kultur, wollen uns die Hand schütteln und stellen viele
Fragen. Vor allem in den Städten orientieren sich viele junge Leute an der
westlichen Mode. Ich glaube eine Deutsche im Saree zu sehen, hat die Inder so
gefreut, weil es ihnen gezeigt hat, dass es auch umgekehrt geht, dass wir ihre Kultur
ebenfalls wertschätzen und bewundern.
Unser
nächster Halt war die Wüstenstadt Jaisalmer. Das prächtige, sandfarbene Fort in
der Mitte der
Stadt erhebt sich hoch über das flache Land und ist schon von
weitem zu sehen. Darin befinden sich kleine Gassen und märchenhafte Gebäude.
Einen Tag nach unserer Ankunft fand das Holi-Festival statt. Am Vorabend wurde
in den Straßen getrommelt, gesungen und große Feuer gezündet. Am nächsten Morgen
wurden wir von dem Moment, in dem wir unser Guesthouse verlassen hatten, im
Trubel mitgerissen und waren nach wenigen Sekunden genauso farbenprächtig wie
alle anderen. Alle zogen durch die Straßen, wünschten sich „Happy Holi!“,
rieben sich anschließend buntes Farbpulver ins Gesicht und dann mit einer
Umarmung auf den ganzen Körper. Alle, das bedeutet alle Männer. Indische Frauen
waren eigentlich nicht zu sehen. Wahrscheinlich nicht zuletzt aufgrund des
Konsums von Alkohol und Bhanglassis wurde das Treiben aber immer wilder und
viele schienen besonders gerne Holi mit weißen Frauen wie mir zu spielen und die
Körperlichkeiten nicht nur bei Umarmungen zu belassen. Es hat zwar insgesamt
großen Spaß gemacht, aber nach zwei Stunden hatten wir genug und haben uns
lieber wieder in Sicherheit gebracht.
Die
folgenden drei Tage haben wir auf einem Kamelrücken schaukelnd in der
Thar-Wüste verbracht. Nachts haben wir unter freiem Sternenhimmel und in dicke
Decken eingewickelt, umringt von Wüstenmäusen und Mistkäfern, in den Dünen
geschlafen.
Nach einem
wunderschönen letzten Tag in Jaisalmer, an dem wir u.a. noch ein paar sehr
bereichernde Bekanntschaften gemacht und uns die für Rajasthan typischen, sehr
harten Lederschuhe erstanden haben, gings mit dem Nachtzug weiter nach Delhi.
Ich hatte
eine unheimlich laute und graue Stadt erwartet, was sich aber keinesfalls
bestätigen sollte. Delhi ist eine wunderbare und vielfältige Stadt, wie ganz
Indien gekennzeichnet von Gegensätzlichkeiten, die miteinander einhergehen. In
vielen Teilen ist es deutlich ruhiger und entspannter als in manchen kleinen
Städten und alle Menschen, die wir kennen gelernt haben waren sehr freundlich
und hilfsbereit. Am besten hat mir die muslimische Siedlung Nizamuddin
gefallen. Umringt von großen Verkehrsstraßen, liegt sie wie ein friedliches
Dorf im Süden der Stadt. Aus Bäckerein und von Blumenständen am Straßenrand strömten
uns viele Düfte entgegen, wir konnten zuschauen wie ein Schaf geschoren wurde
und es herrschte allgemein eine entspannte und freundliche Atmosphäre. Die
auffälligste Besonderheit war jedoch, dass in fast allen Restaurants Fleischgerichte
in großen Töpfen brodelten. Wir haben aber widerstanden und uns für unser
Picknick im Park, in dem wie immer Cricket gespielt wurde, mit Zironenkuchen
und Erdbeeren zufrieden gegeben.
In Dehli
habe ich auch zum ersten Mal bewusst die indische Mittelschicht wahrgenommen
bzw. an einem Abend, an dem wir uns erlaubt haben mal ein Bier trinken zu
gehen, auch ein paar junge Inder kennengelernt, die in ähnlichen Verhältnissen
leben wie wir in Europa. Wenn man das ländliche Indien bereist, wo alle Frauen
Sarees tragen, junge Männer berichten nie
eine Schule besucht zu haben und halbnackte Kinder schon bettelnd die
Hand heben, bevor sie überhaupt sprechen können, fällt es einem schwer zu
glauben, dass Indien sich gerade zu einer Weltmacht entwickelt.
Junge Collegestudenten und vor allem Studentinnen zu sehen, die sich kaum von uns
unterscheiden und sich mit ihnen über ihre Ansichten und Ziele zu unterhalten,
war nicht nur interessant, sondern – auch wenn es komisch klingen mag – tat
irgendwie auch wirklich gut. Nach meiner
Ansicht ist Indien ein Land, in dem man wirklich beobachten kann wie
Vergangenheit und Zukunft aufeinanderstoßen. Und es ist ein Land in dem nichts
versteckt wird. Korruption, Müll, Ungerechtigkeiten, aber auch Kunst, Tradition
und Fortschritt. Es ist so viel mächtiger als Worte, die es zu beschreiben
versuchen.
So denke ich ein wenig schwermütig daran, dass wir Indien bald wieder verlassen werden. Unsere
letzten Tage werden wir nun in der selbstdeklarierten Yogahauptstadt Rishikesh
am Fuße des Himalaya verbringen, bevor es für die letzten Wochen nach Nepal
geht.
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