Freitag, 5. April 2013

Holi, die Wüste und das moderne Indien


Für einen kurzen Abstecher gings weiter nach Jodhpur. In der „blauen Stadt“, die so genannt wird weil hier viele der blau gestrichenen Brahmanenhäuser stehen, habe ich es dann zum ersten Mal gewagt meinen Saree zu tragen. „The Saree makes every woman look like a godess“, hat mal ein Inder zu mir gesagt und ich finde auch, dass es auf der ganzen Welt kein schöneres Kleidungsstück für Frauen gibt. Ich war etwas besorgt, dass die Inder es vielleicht nicht schätzen würden, wenn eine Nichtinderin sich in die sechs Meter traditionellen Stoff hüllt, aber meine Befürchtungen waren völlig unbegründet. Die Inder haben es nahezu gefeiert eine Weiße mit indischer Tracht zu sehen. An jeder Ecke lächelten die Leute und riefen mir begeistert „Very nice Saree!“ oder „Indian Culture!“ zu.
Wenn wir mit Bus oder Bahn unterwegs sind oder mit dem Moped in kleine Dörfer fahren, bildet sich nicht selten eine große Menschenmasse um uns. Alle zeigen großes Interesse an der westlichen Kultur, wollen uns die Hand schütteln und stellen viele Fragen. Vor allem in den Städten orientieren sich viele junge Leute an der westlichen Mode. Ich glaube eine Deutsche im Saree zu sehen, hat die Inder so gefreut, weil es ihnen gezeigt hat, dass es auch umgekehrt geht, dass wir ihre Kultur ebenfalls wertschätzen und bewundern.
Unser nächster Halt war die Wüstenstadt Jaisalmer. Das prächtige, sandfarbene Fort in der Mitte der
Stadt erhebt sich hoch über das flache Land und ist schon von weitem zu sehen. Darin befinden sich kleine Gassen und märchenhafte Gebäude. Einen Tag nach unserer Ankunft fand das Holi-Festival statt. Am Vorabend wurde in den Straßen getrommelt, gesungen und große Feuer gezündet. Am nächsten Morgen wurden wir von dem Moment, in dem wir unser Guesthouse verlassen hatten, im Trubel mitgerissen und waren nach wenigen Sekunden genauso farbenprächtig wie alle anderen. Alle zogen durch die Straßen, wünschten sich „Happy Holi!“, rieben sich anschließend buntes Farbpulver ins Gesicht und dann mit einer Umarmung auf den ganzen Körper. Alle, das bedeutet alle Männer. Indische Frauen waren eigentlich nicht zu sehen. Wahrscheinlich nicht zuletzt aufgrund des Konsums von Alkohol und Bhanglassis wurde das Treiben aber immer wilder und viele schienen besonders gerne Holi mit weißen Frauen wie mir zu spielen und die Körperlichkeiten nicht nur bei Umarmungen zu belassen. Es hat zwar insgesamt großen Spaß gemacht, aber nach zwei Stunden hatten wir genug und haben uns lieber wieder in Sicherheit gebracht.
Die folgenden drei Tage haben wir auf einem Kamelrücken schaukelnd in der Thar-Wüste verbracht. Nachts haben wir unter freiem Sternenhimmel und in dicke Decken eingewickelt, umringt von Wüstenmäusen und Mistkäfern, in den Dünen geschlafen.
Nach einem wunderschönen letzten Tag in Jaisalmer, an dem wir u.a. noch ein paar sehr bereichernde Bekanntschaften gemacht und uns die für Rajasthan typischen, sehr harten Lederschuhe erstanden haben, gings mit dem Nachtzug weiter nach Delhi.
Ich hatte eine unheimlich laute und graue Stadt erwartet, was sich aber keinesfalls bestätigen sollte. Delhi ist eine wunderbare und vielfältige Stadt, wie ganz Indien gekennzeichnet von Gegensätzlichkeiten, die miteinander einhergehen. In vielen Teilen ist es deutlich ruhiger und entspannter als in manchen kleinen Städten und alle Menschen, die wir kennen gelernt haben waren sehr freundlich und hilfsbereit. Am besten hat mir die muslimische Siedlung Nizamuddin gefallen. Umringt von großen Verkehrsstraßen, liegt sie wie ein friedliches Dorf im Süden der Stadt. Aus Bäckerein und von Blumenständen am Straßenrand strömten uns viele Düfte entgegen, wir konnten zuschauen wie ein Schaf geschoren wurde und es herrschte allgemein eine entspannte und freundliche Atmosphäre. Die auffälligste Besonderheit war jedoch, dass in fast allen Restaurants Fleischgerichte in großen Töpfen brodelten. Wir haben aber widerstanden und uns für unser Picknick im Park, in dem wie immer Cricket gespielt wurde, mit Zironenkuchen und Erdbeeren zufrieden gegeben.
In Dehli habe ich auch zum ersten Mal bewusst die indische Mittelschicht wahrgenommen bzw. an einem Abend, an dem wir uns erlaubt haben mal ein Bier trinken zu gehen, auch ein paar junge Inder kennengelernt, die in ähnlichen Verhältnissen leben wie wir in Europa. Wenn man das ländliche Indien bereist, wo alle Frauen Sarees tragen, junge Männer berichten nie  eine Schule besucht zu haben und halbnackte Kinder schon bettelnd die Hand heben, bevor sie überhaupt sprechen können, fällt es einem schwer zu glauben, dass Indien sich gerade zu einer Weltmacht entwickelt.  
Junge Collegestudenten und vor allem Studentinnen zu sehen, die sich kaum von uns unterscheiden und sich mit ihnen über ihre Ansichten und Ziele zu unterhalten, war nicht nur interessant, sondern – auch wenn es komisch klingen mag – tat irgendwie auch wirklich gut.  Nach meiner Ansicht ist Indien ein Land, in dem man wirklich beobachten kann wie Vergangenheit und Zukunft aufeinanderstoßen. Und es ist ein Land in dem nichts versteckt wird. Korruption, Müll, Ungerechtigkeiten, aber auch Kunst, Tradition und Fortschritt. Es ist so viel mächtiger als Worte, die es zu beschreiben versuchen.
So denke ich ein wenig schwermütig daran, dass wir Indien bald wieder verlassen werden. Unsere letzten Tage werden wir nun in der selbstdeklarierten Yogahauptstadt Rishikesh am Fuße des Himalaya verbringen, bevor es für die letzten Wochen nach Nepal geht.

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