Samstag, 20. April 2013

Abschied von Indien und "Oh, wie schön ist Nepal!"



Seitdem die Beatles in den 60er Jahren einige Wochen meditierend und Lieder schreibend in einem Ashram in Rishikesh verbracht haben, ist der Ort für seinen spirituellen Charakter bekannt. Wenn man sieht wie sich der noch unverschmutzte, turkis-klare Ganges sprudelnd durch die von grünen Bergen umgebene Stadt zieht, kann man auch gut verstehen, warum gerade dieser Ort sich besonders gut eignen könnte um zu Ruhe und Besinnung zu finden. Nicht zuletzt deswegen wirkt Rishikesh auch wie ein Magnet für indische und ausländische Touristen, womit ich zur anderen Seite der Medaille komme. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Stadt vor wenigen Jahrzehnten noch Idylle pur war. Aber als wir in Rishikesh angekommen sind wurde ich ein wenig desillusioniert. Die Stadt ist überfüllt mit Touristen, Souveniershops, Hotels, die wie Pilze aus der Erde sprießen und selbst auf der Ostseite des Ganges, die noch bis vor wenigen Jahren verkehrsfrei war, sorgt der Lärm der hupenden Rikshwas, Jeeps und Mopeds für alles andere als eine friedliche Atmosphäre. Sitzt man in einem Cafe, kann man die „esoterischen“ Fachsimpeleien kaum überhören. In Rishikesh ist New Age angesagt. An jeder Ecke werden auf zahlreichen Aushängen die verschiedensten Yoga-, Reiki- und Meditationsausbildungen, sowie Ajurveda, Kristallheilungen, Astrologie, Händelesen etc.  angepriesen, das Angebot ist riesig. Einerseits finde auch ich viele dieser Dinge sehr interessant, andererseits kam ich mir vor wie in einem spirituellen Erlebnispark. Spätestens wenn man dann sieht wie einige Ashrams in einem Zuge Yoga, Meditation, Rafting, Bungy Jumping und luxuriöse Zimmer mit Fernseher und Blick auf den Ganges anbieten, fängt man wirklich an zu zweifeln…
Die ersten drei Tage habe ich von alledem jedoch wenig mitbekommen. Ich hatte schon gedacht, dass ich tatsächlich von dem Fluch der Indienreisenden verschont bleiben würde, habe dann aber doch den Brechdurchfall meines Lebens bekommen und konnte das Bett/Klo für drei Tage nicht verlassen.
Als ich wieder bei Kräften war, haben Claudius und ich öfter lange Spaziergänge aus der Stadt hinaus, flussaufwärts zu einem der verlassenen, weißen Gangesstrände gemacht. Dort haben wir die Natur genossen und im eiskalten Wasser des heiligen und vom Bergquarz glitzernden Flusses gebadet während hinterlistige Affen unsere Bananen geklaut haben.

Um unsere Reise Richtung Nepal fortzusetzen, mussten wir nach einem Zwischenstop in Delhi noch einmal eine 15stündige Zugfahrt zu einer Stadt in der Nähe des Grenzübergangs auf uns nehmen. Nach zwei Stunden fing dann mein Magen wieder an Spierenzchen zu machen, weshalb ich mich regelmäßig durch unser Abteil, in dem mindestens viermal so viele Menschen wie eigentlich vorgesehen eingepfercht waren, zur Toilette durchringen musste. Dementsprechend mitgenommen -  und im wahrsten Sinne des Wortes erleichtert – war ich als wir endlich Mitten in der Nacht in Gorakphur, dem dreckigsten Loch, dass ich in Indien zu Gesicht bekommen habe, angekommen sind und uns für ein paar Stunden in einem der schmuddeligen Hotels niederlassen konnten. Abenteuer, ja ;)…
Am nächsten Morgen gings dann weiter zur Grenze und nach einem recht unkomplizierten ein- und ausstempeln in einem kleinen Bus in nepalesischem Tempo weiter nach Pokhara.
Und was für ein schönes Erlebnis unser erster Tag in dieser Stadt in Nepal war! Nicht Motorenlärm, sondern verschiedenste Vogelgesänge haben uns aus unserem wohlverdienten Schlaf geweckt. Als wir durch die Straßen geschlendert sind, herrschte kaum Verkehr und es wurde quasi gar nicht gehupt. Zum Frühstück gab es echten Kaffee aus den Bergen. Und dann der Anblick des wunderschönen, klaren Sees. Dahinter in diesiges Blau getünchte Berge. Kein Müll. Keine aufdringlichen Bettler und Verkäufer. Kein Anstarren.

Dieser offensichtliche Unterschied bzw. Vergleich soll Indien jedoch auf keinen Fall in ein schlechtes Licht rücken! Indien ist ein riesiges Land mit einer enormen und zugleich vielfältigen Bevölkerung. Dass es dort viel Müll, viel Lärm, viel Verkehr, verschmutztes Wasser und viele Menschen, die in widrigen Verhältnissen leben müssen gibt, lässt sich nicht bestreiten. Doch wenn man das Land bereist und gleichzeitig bemüht ist es auch jenseits der Oberfläche zu erkunden und zu verstehen, sieht man viel mehr als das. Ich hatte den Eindruck, dass Indien ein Land ist, in dem Vergangenheit und Zukunft aufeinander prallen. Die jahrtausendealte Tradition, daraus resultierende Spiritualtität, aber auch Konservativität auf der einen Seite, Fortschritt, moderne Technik und auch Umweltbemühungen auf
der anderen Seite sind nicht nur faszinierend, sondern einmalig. Indien ist auf dem guten Weg zu einer der bedeutendsten Weltwirtschafts-mächte zu werden. Andererseits habe ich Bekanntschaften mit jungen Männern meinen Alters gemacht, die in einem Wüstendorf aufgewachsen sind, nie eine Schule besucht haben und es kaum erwarten können eine arrangierte Ehe mit einem Mädchen, das sie nur von einem Foto kennen, einzugehen. Auf dem Weg zur hochmodernen und klimatisierten Metro in Delhi begegnet man verdreckten Kleinkindern, die schon mit Nachdruck bettelnd die Hand ausstrecken, bevor sie überhaupt sprechen können. Man wird in Indien kaum händchenhaltende Pärchen oder Frauen mit unbedeckten Beinen oder Schultern begegnen, trotzdem ist es üblich, dass in Zügen Transvestiten durch die Abteile wandern und laut in die Hände klatschen bis sie von den halb belustigt und halb verängstigten indischen Männern 10 Rupien in die Hand gedrückt bekommen – ansonsten fangen sie an sich zu entblößen oder die Männer zu bekrapschen. Aufdringliches bis aggressives Starren und forsches Nachfragen hat sich oft als großes Interesse und Freundlichkeit herausgestellt. Indien ist so anders, so wunderbar und einzigartig. Aber auch wirklich anstrengend. Unsere Reise durch dieses Land hat uns viel mit auf den Weg gegeben.
Jetzt freuen wir uns darauf die letzten Wochen in Nepal zu verbringen. Ich werde langsam wieder gesund, genieße die entspannte Atmosphäre, das gute Essen und die Freundlichkeit und den Humor der Nepalis. Und ich kann es kaum erwarten den Himalaya zu entdecken!


Freitag, 5. April 2013

Holi, die Wüste und das moderne Indien


Für einen kurzen Abstecher gings weiter nach Jodhpur. In der „blauen Stadt“, die so genannt wird weil hier viele der blau gestrichenen Brahmanenhäuser stehen, habe ich es dann zum ersten Mal gewagt meinen Saree zu tragen. „The Saree makes every woman look like a godess“, hat mal ein Inder zu mir gesagt und ich finde auch, dass es auf der ganzen Welt kein schöneres Kleidungsstück für Frauen gibt. Ich war etwas besorgt, dass die Inder es vielleicht nicht schätzen würden, wenn eine Nichtinderin sich in die sechs Meter traditionellen Stoff hüllt, aber meine Befürchtungen waren völlig unbegründet. Die Inder haben es nahezu gefeiert eine Weiße mit indischer Tracht zu sehen. An jeder Ecke lächelten die Leute und riefen mir begeistert „Very nice Saree!“ oder „Indian Culture!“ zu.
Wenn wir mit Bus oder Bahn unterwegs sind oder mit dem Moped in kleine Dörfer fahren, bildet sich nicht selten eine große Menschenmasse um uns. Alle zeigen großes Interesse an der westlichen Kultur, wollen uns die Hand schütteln und stellen viele Fragen. Vor allem in den Städten orientieren sich viele junge Leute an der westlichen Mode. Ich glaube eine Deutsche im Saree zu sehen, hat die Inder so gefreut, weil es ihnen gezeigt hat, dass es auch umgekehrt geht, dass wir ihre Kultur ebenfalls wertschätzen und bewundern.
Unser nächster Halt war die Wüstenstadt Jaisalmer. Das prächtige, sandfarbene Fort in der Mitte der
Stadt erhebt sich hoch über das flache Land und ist schon von weitem zu sehen. Darin befinden sich kleine Gassen und märchenhafte Gebäude. Einen Tag nach unserer Ankunft fand das Holi-Festival statt. Am Vorabend wurde in den Straßen getrommelt, gesungen und große Feuer gezündet. Am nächsten Morgen wurden wir von dem Moment, in dem wir unser Guesthouse verlassen hatten, im Trubel mitgerissen und waren nach wenigen Sekunden genauso farbenprächtig wie alle anderen. Alle zogen durch die Straßen, wünschten sich „Happy Holi!“, rieben sich anschließend buntes Farbpulver ins Gesicht und dann mit einer Umarmung auf den ganzen Körper. Alle, das bedeutet alle Männer. Indische Frauen waren eigentlich nicht zu sehen. Wahrscheinlich nicht zuletzt aufgrund des Konsums von Alkohol und Bhanglassis wurde das Treiben aber immer wilder und viele schienen besonders gerne Holi mit weißen Frauen wie mir zu spielen und die Körperlichkeiten nicht nur bei Umarmungen zu belassen. Es hat zwar insgesamt großen Spaß gemacht, aber nach zwei Stunden hatten wir genug und haben uns lieber wieder in Sicherheit gebracht.
Die folgenden drei Tage haben wir auf einem Kamelrücken schaukelnd in der Thar-Wüste verbracht. Nachts haben wir unter freiem Sternenhimmel und in dicke Decken eingewickelt, umringt von Wüstenmäusen und Mistkäfern, in den Dünen geschlafen.
Nach einem wunderschönen letzten Tag in Jaisalmer, an dem wir u.a. noch ein paar sehr bereichernde Bekanntschaften gemacht und uns die für Rajasthan typischen, sehr harten Lederschuhe erstanden haben, gings mit dem Nachtzug weiter nach Delhi.
Ich hatte eine unheimlich laute und graue Stadt erwartet, was sich aber keinesfalls bestätigen sollte. Delhi ist eine wunderbare und vielfältige Stadt, wie ganz Indien gekennzeichnet von Gegensätzlichkeiten, die miteinander einhergehen. In vielen Teilen ist es deutlich ruhiger und entspannter als in manchen kleinen Städten und alle Menschen, die wir kennen gelernt haben waren sehr freundlich und hilfsbereit. Am besten hat mir die muslimische Siedlung Nizamuddin gefallen. Umringt von großen Verkehrsstraßen, liegt sie wie ein friedliches Dorf im Süden der Stadt. Aus Bäckerein und von Blumenständen am Straßenrand strömten uns viele Düfte entgegen, wir konnten zuschauen wie ein Schaf geschoren wurde und es herrschte allgemein eine entspannte und freundliche Atmosphäre. Die auffälligste Besonderheit war jedoch, dass in fast allen Restaurants Fleischgerichte in großen Töpfen brodelten. Wir haben aber widerstanden und uns für unser Picknick im Park, in dem wie immer Cricket gespielt wurde, mit Zironenkuchen und Erdbeeren zufrieden gegeben.
In Dehli habe ich auch zum ersten Mal bewusst die indische Mittelschicht wahrgenommen bzw. an einem Abend, an dem wir uns erlaubt haben mal ein Bier trinken zu gehen, auch ein paar junge Inder kennengelernt, die in ähnlichen Verhältnissen leben wie wir in Europa. Wenn man das ländliche Indien bereist, wo alle Frauen Sarees tragen, junge Männer berichten nie  eine Schule besucht zu haben und halbnackte Kinder schon bettelnd die Hand heben, bevor sie überhaupt sprechen können, fällt es einem schwer zu glauben, dass Indien sich gerade zu einer Weltmacht entwickelt.  
Junge Collegestudenten und vor allem Studentinnen zu sehen, die sich kaum von uns unterscheiden und sich mit ihnen über ihre Ansichten und Ziele zu unterhalten, war nicht nur interessant, sondern – auch wenn es komisch klingen mag – tat irgendwie auch wirklich gut.  Nach meiner Ansicht ist Indien ein Land, in dem man wirklich beobachten kann wie Vergangenheit und Zukunft aufeinanderstoßen. Und es ist ein Land in dem nichts versteckt wird. Korruption, Müll, Ungerechtigkeiten, aber auch Kunst, Tradition und Fortschritt. Es ist so viel mächtiger als Worte, die es zu beschreiben versuchen.
So denke ich ein wenig schwermütig daran, dass wir Indien bald wieder verlassen werden. Unsere letzten Tage werden wir nun in der selbstdeklarierten Yogahauptstadt Rishikesh am Fuße des Himalaya verbringen, bevor es für die letzten Wochen nach Nepal geht.